da ist es wieder, das böse F-Wort: Feministin. Das war das erste, woran ich bei dem Buch von Sheryl Sandberg gedacht habe, als es mir an einem gemütlich Samstagnachmittag beim Stöbern durch einen kleinen Schwabinger Buchladen in die Hände fiel. Ein Wort, bei dem man(n) automatisch an verbitterte Freiheitskämpferinnen ohne BH, wutverzerrte Gesichter, Moralpredigten und Schuldzuweisungen denkt. Doch ist Sheryl Sandberg eine Feministin? So, wie sie da im cremefarbenen Cashmere-Pullover selig von ihrem Buch-Cover lächelt? Kaum vorstellbar. Die Neugierge war also geweckt und das Buch landete in meiner Tasche (nach dem Bezahlen versteht sich).
Um es gleich vorweg zu nehmen: So zwiespältig mein erster Eindruck, umso unglaublich positiver ist mein Fazit über dieses Buch und diese Frau. Ja, Sheryl Sandberg ist eine Feministin, und nein, dabei ist absolut nichts Negatives. Auch wenn sich dieses Buch mit dem Untertitel „Frauen und der Wille zum Erfolg“ hauptsächlich an Frauen richtet, ist es meiner Meinung nach ein spannendes Buch für alle jungen Menschen, die beruflich etwas erreichen wollen: Frauen, die nicht nur von patriarchistischen Unternehmenshierarchien, sondern auch von ihren ganz eigenen Zweifeln und Verhaltensmustern gebremst werden, aber auch Männer, die vielleicht nicht als karrierregeiler Supermacho mit riesen-Ego auf die Welt gekommen sind und verstanden haben, dass Hausarbeit und Kinderbetreuung nicht per se Frauensache sind.
Frau Sandberg gibt viele Beispiele und Einblicke aus ihrer eigenen Karriere und ihrem Privatleben. Angefangen mit ihrer Kindheit, dem von Jungen und Mädchen erwarteten Verhalten, was sich „gehört“ und was nicht, bis hin zum Drang der meisten Frauen, immer alles „richtig“ machen zu wollen und Angst vor dem Anecken zu haben. Viele ihrer Argumente unterstreicht sie mit aktuellen Zahlen und Studien, die verdeutlichen, dass der Weg zur wirklichen Gleichberechtigung noch ein gutes Stück weiter ist, als angenommen.
Heidi versus Howard – Die Sache mit der Sympathie
Warum zum Beispiel nehmen sowohl Männer als auch Frauen erfolgreiche Frauen unsympathischer wahr als erfolgreiche Männer? Im „Heidi-Howard-Vergleich“ erzählt sie von einem Versuch aus dem Jahr 2003: Eine Gruppe von Studenten der Columbia Business School bekam eine Fallstudie über die real existierende Unternehmerin Heidi Roizen zu lesen. Die Geschichte beschrieb, wie Heidi mithilfe ihres großen Netzwerks zu einem der mächtigsten Unternehmensführer in der Technologiebranche wurde. Eine andere Gruppe Studenten bekam den gleichen Text vorgelegt – mit einem Unterschied: anstelle von „Heidi“ stand dort „Howard“.
Anschließend wurden die Studenten nach ihren Eindrücken beim Lesen befragt. Sowohl Heidi als auch Howard wurden als kompetente Persönlichkeiten bewertet. Howard wurde darüber hinaus als angenehmer Zeitgenosse beschrieben – Heidi als egoistisch und „nicht die Art Person, die man einstellen oder für die man gerne arbeiten möchte“.
Die Beschreibung dieses Experiments hat mir ziemlich zu denken gegeben, zeigt es doch, dass nicht nur die „bösen Männer“, sondern vor allem wir Frauen an unseren Denkmustern und Verhaltensweisen gegenüber erfolgreichen Frauen, und damit auch unserer eigenen Karriere arbeiten müssen. Wieso „gehört“ es sich nicht für Frauen, erfolgreich zu sein und Macht auszuüben? Warum finden wir erfolgreiche Männer beeindruckend, ja sogar attraktiv, und stempeln erfolgreiche Frauen oft als kalt, egoistisch und sogar zickig ab, auch wenn wir sie kaum kennen?
Karriere ist keine Leiter, sondern ein Klettergerüst
„Es gibt nur einen eizigen Weg an die Spitze einer Leiter, aber viele Wege zum oberen Ende eines Klettergerüsts.“ Diese Metapher hat mir ziemlich gut gefallen, zeigt sie doch, dass es viele Wege gibt, die zum Erfolg führen und darüber hinaus viele unterschiedliche Definitionen von Erfolg. Nicht jede/r ist ein/e gute/r Vorstandsvorsitzende/r und nicht jeder hat das Ziel, eine/r zu werden. Es gibt aber so viele andere Möglichkeiten, die man vielleicht gar nicht in Betracht zieht, weil man sich zu sehr auf das konzentriert, was man bereits gemacht hat. Sheryl Sandberg nennt an dieser Stelle viele Beispiele aus ihrer eigenen Karriere und von den Frauen um sie herum.
Eines Tages, als sie bereits Geschäftsführerin bei Facebook war, bekam sie einen Anruf von der Marketing-Managerin von eBay, die sich beruflich verändern wollte. Sie sagte Folgendes: „Ich will mich bewerben, um gemeinsam mit Ihnen bei Facebook zu arbeiten. Deswegen habe ich erst überlegt, Sie anzurufen und Ihnen zu erzählen, was ich alles gut kann und gerne mache. Aber dann dachte ich mir, das machen alle. Und deshalb will ich Sie stattdessen fragen: Was ist ihr größtes Problem und wie kann ich es lösen?“ – Sheryl Sandberg war von dieser Herangehensweise so angetan (und ich auch beim Lesen), dass die Anruferin tatsächlich eingestellt wurde – und zwar nicht im Marketing, sondern in der Personalabteilung, da das Anwerben von Personal zu dem Zeitpunkt Facebooks größtes Problem darstellte. Heute ist sie Leiterin der Personalgewinnung und hat überhaupt keine Lust mehr, ins Marketing zurückzugehen.
So, jetzt habe ich euch aber genug aus dem Buch erzählt. Ich kann wirklich jedem ans Herz legen – egal ob Männlein oder Weiblein – dieses Buch zu lesen. Es motiviert und erschreckt, fasziniert und erstaunt und hat mir sehr dabei geholfen, meine weiblichen, oftmals irrationalen Denkmuster zu überdenken. Danach macht es umso mehr Spaß, sich im Job reinzuhängen!
PS: Mit Erschrecken habe ich gestern gelesen, dass der Mann von Sheryl Sandberg plötzlich und unvermutet im Alter von 47 Jahren verstorben ist. Auch wenn es vielleicht so aussieht, war dies nicht der Anlass dazu, diese Buchbesprechung zu schreiben. Ich habe das Buch schon vor einer ganzen Weile gelesen und habe jetzt erst die Ruhe gefunden, darüber zu schreiben.